Sollte sich ein Kriminalschriftsteller über den Alltag der Polizei informieren?

„Kennen Sie den neuen X-Roman vom Y-Autor?“ fragte mich nach der Lesung meines aktuellen Krimis die Redakteurin einer renommierten Tageszeitung.
„Ich kenne den Autor, aber nicht sein neues Buch,“ antwortete ich. „Lohnt sich auch nicht zu lesen. Es ist schlecht.“
„Y schreibt doch sonst gut.“ Ich war verwirrt.
„Das Buch ist schlecht; er beschreibt die Arbeit der Polizei so, wie sie in der Realität nicht funktioniert. Glasklare Faktenfehler. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war mehrere Jahre Polizeireporterin.“
„Aber sein Stil ist doch gut, oder?“
„Wen interessiert der Stil, wenn die Fakten nicht stimmen. Wer unsauber recherchiert, kann eine Geschichte auch nicht durch einen guten Stil aufwerten.“

Wie genau soll ein Krimi den polizeilichen Alltag beschreiben, fragte ich mich nach diesem Gespräch. Eine Fragestellung, die sicherlich viele Krimiautoren und auch -leser interessiert.

Eines steht fest: Ein Kriminalroman ist keine polizeilichen Fallakte. Das ist auch gut so, denn polizeiliche Akten wimmeln von Fachausdrücken und langweilen durch ihre Beamtensprache, deren Adressat der Staatsanwalt bzw. der Richter ist. Krimis dagegen streben eine wesentlich größere Zielgruppe an. Der Autor ( i.d.R. ein Laie in Sachen Kriminalistik und Polizeiorganisation) versucht, seine Leserschaft mit Verbrechen und deren Aufklärung spannend zu unterhalten. Muss die Story auch realitätsnah und faktengenau sein? Darf ein Autor dem Leser etwas vorflunkern, ihn quasi betrügen?

Die vielleicht erfolgreichste Ermittlerfigur aus der Feder eines deutschen Schriftstellers ist Inspektor Derrick. Allerdings gibt es den Dienstgrad Inspektor bei der deutschen (Kriminal-)Polizei nicht. Trotzdem halten die Fernsehzuschauer die Serie Derrick für sehr realitätsnah. Tatortarbeit, Vernehmungen, Fahndungen und Durchsuchungen werden so dargestellt, dass sie glaubhaft scheinen. Millionen Menschen in aller Welt beurteilen mittlerweile deutsche Kripoarbeit nach dem Derrick-Standard. Kein Wunder, unterscheidet Derrick doch echte und fingierte Spuren, eine Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung und weiß auch, wann das Bundeskriminalamt zu informieren ist. Wer Derrick-Krimis sieht, fühlt sich sicher, nicht betrogen zu werden.

Jaques Berndorfs Kriminalromane beschreiben Orte und Personen der Eifel authentisch. Ob es der Rastplatz an der Bundesstraße 410 oder die Abfahrt nach Bad Neuenahr auf der A 61 ist, Berndorf informiert seine Leser genauestens über das Straßennetz der Eifel. Seine Hauptfigur, Siggi Baumeister, kennt die Zuständigkeiten von BND, MAD, CIA und dem Geheimdienst der NATO. Es fallen Begriffe wie Weichmantelgeschoss, Einschusskanal und LKA. Auch wird über unterschiedliche Maschinenpistolen (Uzi, Heckler und Koch) im Kontext einer Schussverletzung diskutiert. Der Leser belohnt die Detailtreue mit einer Millionenauflage der Eifel-Krimis.

Horst Eckert lässt Ela Bach im Düsseldorfer Polizeipräsidium, der Festung, ermitteln. Seine Kommissarin arbeitet in einer genau beschriebenen Polizeistruktur. Es gibt den Leiter der Zentralen Kriminalitätsbekämpfung, die Abteilung Gefahrenabwehr/Strafverfolgung und Polizeiinspektionen. Alles stimmt. Trotzdem ist “Die Zwillingsfalle” fiktiv, ein Roman, der der Fantasie eines sauber recherchierenden Schriftstellers zu verdanken ist. Für seine Polizei-Oper wurde Horst Eckert mit dem Glauser, dem Preis für den besten deutschsprachigen Krimi ausgezeichnet.

Detailtreue ist eines der Erfolgsgeheimnisse vieler Romane, wenn der Autor es versteht, sein Detailwissen in den Spannungsbogen so einzubauen, dass seine Story glaubhaft wirkt.
Häufig sind es jedoch die Kleinigkeiten des polizeilichen Alltages, die einige Krimiautorinnen und -autoren in ihren Geschichten sehr ungenau oder auch falsch darstellen. Sobald Leser erkennen, dass der Autor auf gewissen Gebieten nicht „sattelfest“ ist, werden sie auch gut recherchierte Darstellungen anzweifeln. Aus diesem Grunde halte ich das Studium von (kriminal)polizeilicher Fachliteratur für einen Kriminalschriftsteller für unerlässlich, wenn seine Protagonisten – in welcher Form auch immer – Kontakt mit der Polizei haben oder sogar selbst polizeiliche Ermittler sind.

Im deutschsprachigen Raum gibt es mehrere Verlage, die in ihrem Programm Fachliteratur für Polizei- und Kriminalbeamte, aber auch für private Sicherheitsdienste führen.

Der Verlag Deutsche Polizeiliteratur (www.vdpolizei.de) hat sein Buchprogramm vor allem auf die Polizeibranche ausgerichtet. Fachleute (meist Beamte des gehobenen und höheren Polizei- und Kriminaldienstes) schreiben aus ihren Fachgebieten und setzen häufig ein bestimmtes Fachwissen voraus. Für polizeiliche Laien, die sich mit kriminalistischen Grundbegriffen aber auch kriminaltaktischen Maßnahmen auseinandersetzen wollen, empfehle ich als Standardwerk das Arbeitsbuch für die Schutz- und Kriminalpolizei von Meyer/Wolf: „Kriminalistisches Lehrbuch der Polizei“. Dieses Werk wurde für die Ausbildung von Polizei- und Kriminalbeamten entwickelt. Es bietet eine systematisch aufbereitete Darstellung aller Aufgaben und Funktionen, der Methodik, Strategie und Taktik polizeilicher Maßnahmen. Insbesondere wird auf das kriminalistische Ermittlungsverfahren eingegangen, das in den Grundzügen jedem Krimiautor bekannt sein sollte. Aber auch die Kapitel zur Spurenkunde sowie Technik und Taktik der Vernehmung geben wichtige Informationen für jedes Krimi-Manuskript.

Bei den Hüthig Fachverlagen (www.huethig.de) ist der Kriminalistik Verlag angesiedelt. Dort wird das “Kriminalistik Lexikon” von Burghard/Hamacher/Herold/Schreiber/Stümper/Vorbeck herausgegeben. Es enthält als „Nachschlagkatalog“ auf 363 Seiten sämtliche kriminalistischen Fachbegriffe und erklärt sie meist auch so, dass sie für interessierte Laien verständlich sind.

Nicht nur kriminalistische Stichworte sondern auch andere polizeiliche Begriffe enthält das “Polizei Lexikon” von Reinhard Rupprecht. Auf 605 Seiten können eine Unmenge von Informationen über die Polizei nachgeschlagen werden.

Wer sich regelmäßig über neueste kriminalistische Errungenschaften, aber auch Verbrechen informieren möchte, kann die Zeitschrift „Kriminalistik“ abonnieren. Das Magazin für die gesamte Wissenschaft und Praxis bietet Monat für Monat aus der Feder von Fachleuten Beiträge zu den Themen Organisierte Kriminalität, Europäische Zusammenarbeit, Kriminal- und Drogenpolitik und Kriminaltechnik. Allerdings sind die Artikel in der Regel für Fachleute verfasst, so dass ohne gewisse Nachschlagewerke (siehe oben) nicht viel Freude beim unbedarften Leser entstehen wird. Die Kriminalistik-Zeitschrift ist jedoch immer hochaktuell und greift auch umstrittene Themen in der Polizeiorganisation auf. Ein Probeexemplar kann per Internet bestellt werden.

Mehr Fachliteratur möchte ich für den Anfang nicht empfehlen, ganz nach dem pädagogischen Grundsatz „weniger ist mehr“.

Noch ein Tipp: Lassen Sie Ihr Krimi-Manuskript – wenn möglich – von Kriminalbeamten auf fachliche Richtigkeit prüfen, um sicher zu gehen, dass Ihnen keine kriminalistischen Fehler unterlaufen sind. Es ist nichts peinlicher als eine Autorenlesung, in der ein aufmerksamer Zuhörer die Faktenrichtigkeit des Vorgelesenen anzweifelt.

Viel Spaß beim Studium der Kriminalistik.

© by Reiner M. Sowa 2001

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